Der MTV Wangersen hat sich mit fünf Jugendmannschaften für Deutsche Faustball-Meisterschaften qualifiziert. Das ist nicht nur ein Vereinsrekord, es ist auch das Ergebnis intensiver Jugendarbeit, die seit zehn Jahren in dem 700-Einwohner-Dorf am Rande des Landkreises betrieben wird.Am Dienstagabend ist der Sportplatz das Zentrum Wangersens. An der Straße parken Dutzende Autos, Eltern setzen ihre Kinder ab. Sie strömen auf den Sportplatz, vorbei am Banner „Der MTV Wangersen begrüßt seine Gäste“. Auf dem Platz sind alle sechs Felder belegt. Die Kinder und Jugendlichen spielen sich die Bälle zu. Vor dem Vereinsheim liegen Fahrräder im Gras. Trainer und Betreuer unterhalten sich miteinander. Der normale Rummel, wenn der MTV Wangersen zum Faustball-Training lädt. Es ist ein Sinnbild für eine prosperierende Abteilung, die am vergangenen Wochenende einen Rekord aufgestellt hat. Zum ersten Mal in der 110-jährigen Vereinsgeschichte haben sich fünf Jugendmannschaften für Deutsche Meisterschaften qualifiziert. Das sind
- die U 12-Mädchen,
- die U 12-Jungen,
- die U 14-Jungen,
- die U 16-Jungen und
- die U 18-Mädchen.
„Drei Medaillen sind drin“, sagt Abteilungsleiter und Trainer Bernd Schnackenberg entschlossen. Die Medaillen traut er den älteren Faustballern zu. Die U 12-Teams hingegen fahren erstmal „zum Üben“ zur Deutschen Meisterschaft. „Das sind ganz junge Spieler, einige sind erst zehn Jahre alt“, sagt Schnackenberg. „Sie sollen die Atmosphäre erleben, dann werden sie beim nächstes Mal schon ganz anders auftreten.“ Was ist in Wangersen, diesem 700-Einwohner-Dorf am Rande des Landkreises, geschehen, dass gleich fünf Mannschaften bei Deutschen Meisterschaften antreten? Die Antwort klingt simpel. „Bei uns spielen immer mehr Kinder Faustball“, sagt Schnackenberg. 150 Mitglieder zählt die Faustballsparte, davon knapp 100 Kinder in 18 Mannschaften. „Vor neun Jahren“, erinnert sich Schnackenberg, „waren es noch vier Jugendmannschaften.“ Es ist das Ergebnis intensiver Jugendarbeit, die Schnackenberg und seine Mitstreiter seit rund zehn Jahren betreiben. Sie machen in Kindergärten und Grundschulen Werbung für den Faustball, haben „Ansprechpartner“ unter den Lehrern und Erziehern. Im Training kümmern sich gut ausgebildete, lizenzierte Trainer um den Nachwuchs. Und das spricht sich herum: Die Kinder kommen nicht mehr nur aus Wangersen, sie kommen aus Ahlerstedt, Ottendorf, Ahrenswohlde, Bokel oder Hagenah. Was aber auch eine Rolle spielt, ist, dass der Faustball seit jeher in Wangersen und der näheren Umgebung verankert ist wie keine andere Sportart. Die kleine Fußballsparte des MTV Wangersen ernteten zwar aufgrund ihrer enormen Erfolglosigkeit bundesweit große Aufmerksamkeit. Der Hauptsport in Wangersen ist jedoch Faustball. Das betont auch Dieter Kröger, Jahrgang 1947 und Vorsitzender des Vereins. Er sagt: „Schon mein Vater hat Faustball gespielt.“ Kröger kam 1964, mit 17 Jahren, zum Faustball und blieb dabei. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich der Faustball in Wangersen rasant. Die Mannschaften spielten um Punkte und Meisterschaften, die Erwachsenen starteten in der Bundesliga. „Faustball hatte einen hohen Stellenwert“, sagt Kröger. Das könnte mit zwei Dingen zusammenhängen: Einmal waren für eine Mannschaft nicht so viele Spieler nötig wie beim Fußball, und außerdem waren die Menschen auf dem Dorf nicht so mobil wie heute. Also wurde das gespielt, was vor Ort angeboten wurde, nämlich Faustball. In einigen Familien zieht sich die Faustball-Leidenschaft durch die Generationen. „Inzwischen sind hier viele Kinder von Spielern, die vor etlichen Jahren mit Wangersen in der Bundesliga gespielt haben“, sagt Schnackenberg. Bei Leann-Vivien Leimann (17) aus Ahlerstedt jedoch war es anders. „Schon im Kindergarten wurde viel Werbung für Faustball gemacht“, sagt die U 18-Spielerin. In der Grundschule wählte sie die Faustball-AG und infizierte sich mit dem Faustball-Virus. Leimann spielt inzwischen mit der Frauenmannschaft in der zweiten Bundesliga, gehört zum Landeskader und tritt demnächst mit Wangersens U 18 bei der Deutschen Meisterschaft in Großenaspe an. Genau wie ihre Mitspielerin Helke Meyer (18). Gemeinsam haben sie seit der U 12 an sieben Deutschen Meisterschaften teilgenommen, haben Silber- und Bronzemedaillen gewonnen – Gold fehlt noch. „Es wird nicht einfach“, sagt Meyer. Topfavorit sei das Team aus Schneverdingen, an dem der MTV schon oft verzweifelt ist. Dieses Mal aber könnte es anders kommen. Bei der Norddeutschen Meisterschaft hat Wangersen seinen Angstgegner bereits zwei Mal schlagen können. Bernd Schnackenberg beobachtet das Training der U 18. Als ein Ball ins Aus fliegt, wirft er ihn zurück ins Feld. Vereinsrekord hin oder her, Schnackenberg hofft, dass der Zulauf in Wangersen anhält. Er plant bereits weitere Jugendmannschaften zu melden. „Wir müssen aufpassen, dass immer wieder Kinder nachkommen.“ Auch damit der Sportplatz das Zentrum Wangersens bleibt, zumindest am Dienstagabend.
von Tim Scholz (erschienen im Stader Tageblatt am 30.08.2018)